Tour de France

Tag 15 (26/06) – Andorra – Land ohne Wiederkehr

Spanische Tautropfen rinnen von der Zeltwand, als wir erwachen. Die Nässe vom gestrigen Regen weicht nur langsam, da die Sonne sich erst über die Pyrenäen schieben muß, und dicke Morgenwolken ihre Arbeit erschweren. Hier, in einem Tal eingerahmt zwischen Zweitausender auf der spanischen Seite der Grenzregion, hätten wir uns kaum 15 Stunden zuvor nicht wiederzufinden geglaubt. Wir danken im Stillen noch mal der Überredungskunst des franzsösischen Bikers vom Vorabend, der bei uns aber auch leichtes Spiel hatte und wir Spanien kurzerhand in unsere kleine Rundreise mit aufnahmen.
Am Ziel Andorra hat sich indes nichts geändert. Das Navi sagt uns heute Morgen ein paar Kilometer weniger als gestern Abend an. Aber ok, wird schon stimmen. Wir werden später erfahren, was es damit auf sich hat. Mein Motor macht in den Bergen leistungsmäßig Probleme, und die ersten Kilometer nutze ich noch, um die ein oder andere Hauptdüse zu wechseln. Irgendwas zwischen „geht so halbwegs“ und „geht noch beschissener“ kommt raus. Um im Zeitplan zu bleiben, belasse ich es bei kleineren Spielereien und wir biegen von der großen Hauptstraße ab in ein Nebental. Schau an, das Navi kennt wirklich einen kürzeren Weg als die große Hauptstraße nach Andorra. Nach einigen Kilometern biegen wir wieder ab. Neues Nebental, noch kleinere Straße. Aber hübsch. Direkt an einem rauschenden Gebirgsbach schrauben wir uns die Berge hoch. An einer Art letzter Rastplatz wandelt sich die Straße zu einem steinigen Waldweg. Sofort glauben wir ein Déjà-vu zu haben: die Panoramastraße in Albanien 2018. Die Erfahrung von damals lässt uns zunächst unbeirrt weiter fahren. Der Schwierigkeitsgrad ist nun aber locker im gelb-orangenen Bereich. Und was wird noch kommen an Steigung und Zustand des Weges? Zunächst einmal kommt wie aus dem Nichts eine kleine Ansiedlung mit Herberge und Bewirtung. Ein paar alte Steinhäuser, wie sie typisch sind für die Gegend, schmiegen sich in eine etwas breitere Stelle des Tals. Zusammen mit dem Gebirgsbach ein sehr romantisches Bild. Wir nutzen die Gelegenheit zu einem Kaffeestop und erkundigen uns bei der englisch sprechenden Wirtin, ob unsere Idee, mit solch alten Vehikeln den Pass nach Andorra zu erklimmen, nicht an debiler Geistesschwäche grenzt. Sie sagt ungefähr: „sure, slowly, not a problem“. Sicher, hoch rasen wollten wir sicher nicht, aber ein bißchen frage ich mich schon, ob sie die Geländegängigkeit unserer Maschinen und den Zustand des Gebirgsweges richtig in Bezug setzen kann. Trotzdem tanken wir aus ihrem Optimismus neuen Mut und setzen unsere Fahrt fort. 7 Kilometer steinige Piste. Bis zum Pass. Und keiner weiß, wie sich der Weg in Andorra gestaltet. Mit jedem weiteren Höhenmeter steigt der Level. Ich stoße mit der ohnehin mickrigen Leistung immer öfter an die Leistungsgrenze, da ich drehzahlmäßig nicht richtig auf Touren komme und selbst der 1. Gang große Mühe hat, das Muli am Laufen zu halten. Und dann passiert es. Die Nässe und losen Geröllsteine zwingen uns steil bergauf zum Halt. Schnell den Seitenständer raus, Gang rein, und AWO abgestellt. Ich renne vor zu Anke, die die ganze Zeit Führungsarbeit leistet und helfe ihr beim abstützen. Ohne Aufsitzen, mit Gas und Kupplung, ich am Lenker und Anke schiebend, bringen wir beide Maschinen unter großer Mühe ein paar Meter höher, wo ein Fahren wieder möglich ist. Oft dürfen solche Passagen nicht mehr kommen, denn ausgelaugt kommt man auch bergab solche Pisten kaum heil runter. Es sollte aber die einzige Situation bleiben, in der es echt haarig wurde. Lediglich bei der Überquerung eines Gebirgsbaches überlässt Anke mir ihre Maschine, weil längere Beine im rutschigen Bach vielleicht doch eher Halt finden. Den Großteil der Strecke haben wir hinter uns, als sich plötzlich eine große Almwiese mit Pferden auftut und den Blick auf schneebedeckte Gipfel der umliegenden Berge frei gibt. Der Weg bis zum Pass gestaltet sich im Vergleich zu den vorigen Kilometern schon fast spielerisch. Und doch, im Rückspiegel ist Anke plötzlich nur noch ganz klein. Ich stelle meine AWO ab und eile zu Fuß den Weg hinunter. Gepäck verloren, aber umgehend gemerkt. Keine Abfahrt nötig, und der Pass ist bereits in Sichtweite. Und dann ist es soweit, wir befahren Andorra. Und wie ein Geschenk Gottes, wandelt sich dieser steinige Gebirgspfad in eine asphaltierte und leitbeplankte Bergstraße. Aalglatt! Wir schauen uns kurz an und denken kurz darüber nach, umzukehren. Jetzt, wo man oben steht, hat das ein Haufen Gaudi gemacht, und nun soll man so eine langweilige Asphaltpiste befahren? Ja, denn wir wollen Andorra kennen lernen. Bevor es ins Tal geht, geniessen wir den herrlichen Ausblick auf ein großes, grünes Tal, daß schon fast etwas märchenhaftes hat inmitten der rauhen Berge. Von der andorrischen Zivilisation ist hier oben jedoch nicht viel zu sehen. Und an dieser Stelle müßen wir auch anmerken: wir haben, sollten wir nicht jemals steuerhinterzieherische Ambitionen hegen, niemals wieder vor, Andorra einen Besuch abzustatten. Ganz Andorra scheint durchzogen von Schickimicki-Läden und Restaurants, viel zu breiten Straßen in Gemeinden mit unsäglicher Tourismus- und Finanzarchitektur. Man weiß sofort, wer hier Urlaub macht und „lautere“ Finanzgeschäfte tätigt. Als wir am Pas de la Casa wieder franzsösischen Asphalt befahren, schauen wir noch mal kurz zurück und schwören, dieses kleine „arme“ Land so schnell nicht wieder zu besuchen. Die rauen Berge der Pyrenäen wandeln sich nun wieder zur Landschaft mit mittelgebirglichem Charakter. Wir steuern Carcassonne an, um eine der größten und besterhaltenen Festung Europas in Augenschein zu nehmen. Aber zunächst schlagen wir 30km zuvor unser Zeltlager an einem Campingplatz auf, den wir unter normalen Umständen sicher gemieden hätten. Großer Pool mit terrassenförmigen Liegemöglichkeiten und „hochwertigem“ Unterhaltungsprogramm. Der richtige Platz für Camper, also die mit den fetten Wohnwagen, die auch sonst zu doof sind, sich mit Natur zu beschäftigen. Die Kinder dürfen bis Mitternacht grölen, und als diese wohl aus eigener Erschöpfung endlich zu Bett gehen, dröhnt vom Restaurant Discomusik herüber. Wir sind nach dem anstrengendem Tag genervt, und geraten selber noch aneinander. Der Tag hat sehr schön, aber auch kräftezehrend begonnen. Dem müssen wir am Ende des Tages Tribut zollen und gehen ohne Gutenachtkuss zu Bett.

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20200626

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