Das Licht und die Durchsage reißt mich aus dem Schlaf. Noch eine Stunde bis Schiff sinkt oder so. Ich quäle mich hoch, schlürfe auf Toilette, etwas Wasser ins Gesicht und Kaffee geholt. Nein, gelogen, das war kein Kaffee, vielleicht braunes Wasser. Ein Blick aus dem Fenster, und wow, sieht toll aus. Sonnenaufgang und schönes Licht mit samt der Wolken am Horizont. Raus aufs Deck, und es kommt mir mild vor. Vielleicht bin ich auch noch nicht richtig wach. Aber es fühlt sich wie ein schöner Morgen an, und vielleicht folgt darauf ein schöner Tag. Beim Verlassen der Fähre empfängt die Passagiere ein fetter Regenbogen. Und als alle in der Schlange zur Passkontrolle warten, klopft auf einmal jemand von hinten an die Schulter und sagt: „Du hast da was vergessen!“. Ich? Wasn? „Das englische Wetter!“. Ein hämisches Lachen setzt gleichzeitig mit dem Regen ein und ziemlich alle Biker springen von ihren Motorrädern und nästeln ihre Regenklamotten raus. Zur Krönung ist die Passkontrolle, ein Neubau, bis auf das Personalhäuschen nicht überdacht. Und alles fummelt bei strömenden Regen nun die Pässe aus den Klamotten hervor. Da krieg ich Hals!!!

In der ersten Ortschaft kommt auch gleich eins meiner Lieblingsgeschäfte in Frankreich: eine Bäckerei. Echtes Brot, echte Baguettes, und lecker Kuchen. Bei aller Liebe, von wegen großartige Reise und so, aber Brot kann Britannien nicht. Ich decke mich etwas ein, und ein, nein, ich gebs ja zu, zwei Stück Kuchen und ein Kaffee gibts sofort zum Frühstück. Das es zwei geworden sind, liegt an einer Meldung in der Statusleiste meines Handys. Da stand, ich bin zu spontanem Paypal-Guthaben gekommen. Steuerlich ist die Spende nicht absetzbar, da ich nicht gemeinnützig bin. Also gemein schon, aber es nutzt nichts. So schicke ich ein Bild vom Kuchen als Quittung sozusagen.

So, und nun erst mal sortieren. Zwar hatte ich mit Normandie und D-Day grobe Ziele für Frankreich, allerdings überhaupt keine geografischen und geschichtlichen Ortskenntnisse. Ich fing also erst mal damit an, etwas Struktur in den Tag zu bekommen. Dabei stellte ich erst mal fest, schönes Wetter, wie heute Morgen noch gedacht, kannste knicken. Ja, die Sonne lacht, aber aus jeder zweiten Wolke gibt es reichlich Wasser von oben. Überhaupt kommt mir das eher wie ein Herbsttag vor, kalt, nass, windig. Dazwischen Sonne, die kann aber nicht viel retten. Insgesamt bin ich den ganzen Tag nur in Regenklamotten unterwegs und auch reichlich nass. Dabei bringe ich das Kunststück fertig, von oben kaum was einzufangen. Das meiste kommt von den Straßen und wird aufgewirbelt. Dementsprechend verdreckt auch das Visier um so schneller. Kommt dann die Sonne raus, gleicht das fast Blindflug. Zurück zur Tagesorganisation. Der D-Day betraf ja mehrere Strandabschnitte. Abschnitt „Utha Beach“ liegt wenige Kilometer vor mir, wird also mein primäres Ziel. Und dann fällt mir noch der Soldat ein, der mit seinem Fallschirm am Kirchturm hängen blieb, da längere Zeit ausharren mußte, sich tot stellte und später gerettet wurde. War der Ort vielleicht hier in der Normandie? Meine Erinnerungen an den Film trügten mich aber, in der Realität geriet dieser in deutsche Kriegsgefangenschaft, aus der er aber später fliehen konnte. Aber tatsächlich, der Ort des Geschehens war sogar in unmittelbarer Umgebung. Somit war auch das erste Zwischenziel gebucht. Zu meiner Enttäuschung war besagter Kirchturm, oder besser gesagt, der Kirchplatz davor Auflaufgebiet für Massentourismus. Wisst schon, so Busweise. Also schnell durchgemogelt, die Puppe am Fallschirm, die da als Denkmal hängt, fotografiert und schnell wieder raus. Neben mir stand noch ein Ami, der gerade an seinem Original-Jeep aus den 40ern sein Verdeck abbaute. Ich grüßte ihn und wollte fragen, ob ich den Jeep fotografieren kann. Ich kam nicht zum fragen, denn sein Blick tötete mich auf der Stelle. Als ich bis 10 zählte und die Augen wieder auf machte, war er weg. Es war der Blick des Todes, unbarmherzig und filmreif. Was ein Clown, dachte ich. Nun denn, weiter nach „Utha Beach“, ins D-Day-Museum. In der Abteilung der deutschen Gegner wurden allerhand Devotionalien mit Hakenkreuz ausgestellt. Ich hab noch nie so viele und teils große Flaggen mit Hakenkreuz auf einen Haufen gesehen. Ich weiß es nicht, aber in Deutschland wird dieses Zeugs wohl so offensiv nicht ausgestellt. Der Rest ist vieles, was man aus etlichen Weltkriegsdokus aus dem Fernsehen schon kennt. Für mich eher mal interessant, die Landungsfahrzeuge in Original zu sehen und eine Vorstellung davon zu bekommen, was es heißt, sich damit in offenes Mündungsfeuer zu begeben. Am Strand selbst zeugt nicht mehr viel von damals. Von ein paar Denkmälern und Skulpturen mal abgesehen. Dutzende Bunker, wie in Dänemark, gibt es hier nicht zu sehen.

Nach Kriegs-„Kultur“ nun Planungsphase Teil zwei. Was tun mit dem Rest des Tages, und wohin, und wenn ja, warum. Die Überlegung war, nördlich um Paris drumrum und später eventuell noch mal zur Küste hoch und einen dieser berüchtigten V2- und V3-Abschußbunker zu besuchen. Also legte ich mir eine Strecke südlich von Caen zurecht. Nun gab es nur ein Problem, und das lag genau vor mir, oder besser gesagt, es bewegte sich genau in meine Fahrtrichtung. Eine große fette dunkle Wolke, und die Straßen waren noch ganz naß von ihr. Fahre ich normal meine Geschwindigkeit, fahre ich mitten rein. Also fahre ich nur 50 auf der Landstraße, aber das ist total ermüdend. Die Straßen sind hier längst nicht so abwechslungsreich, wie noch auf der Insel. Irgendwie macht das hier alles kein Sinn. Der Mix aus Müdigkeit und kaltnassem Wetter lässt jetzt nur eine Entscheidung zu: ich muß heute nichts schaffen, ich könnte ne Mütze Schlaf gebrauchen, und vielleicht auch eine Dusche. Ich stoppe meine Fahrt, und schmeiß den Übernachtungsplaner an. Zuerst schaue ich trotz des Wetters sogar nach Wildcampingplätzen, aber in der Gegend sieht es mau aus. Und wie werden wohl hier die Preise für feste Unterkünfte mit Bad sein? Aha, viel moderater als die letzten Tage. Und dann erblicken meine müden Augen ein Angebot mit Wanne, wo ich sofort weiß, das steht mir zu. Die Richtung ist nun zwar eine andere, aber das spielt überhaupt keine Rolle. Knapp 40km bei Sonne und Regen gleichzeitig spule ich noch mal ab und stehe dann im zweigeschossigem Appartement, was die wohl bisher schönste und gleichzeitig billigste Unterkunft auf meiner Reise ist. Campingplätze natürlich ausgenommen. Hier lässt es sich wunderbar relaxen. Ich muß Schluß machen, die Wanne ruft …

Total distance: 194721 m

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