Die Nachttemperaturen fallen in diesen Tagen auf um die 5°C. Kein Problem, solang ich im Schlafsack verharre, der bis an den Gefrierpunkt durchaus komfortabel ist. Ein gutes Stück, welches ich Bernde damals für meine erste Nordkap-Tour abgeluchst habe. Die Kälte bewirkt allerdings, daß alles, was nicht im Zelt ist, am nächsten Morgen klitschnass ist. Heute mußte ich nur auf die Sonne warten und machte mir in Ruhe einen Kaffee und genoss meine Marmelade mit französischem Brot. Dabei mußte ich zur Kenntnis nehmen, daß mein Benzinkocher nun auch aus dem Leim geht. Da tropft es an allen Kanten und Ecken. Nicht das das Teil irgendwann in Flammen steht …

Zeit, um sich über das Tagesziel Gedanken zu machen. Die Kupplung macht Probleme, die Bremse hab ich gestern Abend notdürftig gewartet. Noch was wagen oder auf direktem Weg nach Hause? Vielleicht etwas im Zickzack nach Hause und ich entschließe mich, die V3-Bunkeranlage Mimoyecques in Landrethun-le-Nord im Zick in Angriff zu nehmen, und im Zack auf die Ardennen zuzusteuern. Die Kupplung noch mal eingestellt, welche sich trotzdem seltsam anfühlte und nicht die typischen Anzeichen bekannter Probleme zeigte. Der Belag schien nicht runter zu sein, und die Druckstange schien nicht weich zu werden am Vierkant, was ein ständiges Nachstellen bedeutet hätte. Also los gebraust und irgendwann bei einer Boulangerie neues Brot besorgt und Kaffeepause gemacht, samt Kuchen, zwei.

Knapp 50km vor meinem ersten Etappenziel lösten sich meine Pläne in Luft auf. Im kleinen Dorf Parenty verweigert die Kupplung jede weitere Mitarbeit. Das ich auf einer Urlaubstour zweimal die Kupplung ausbaue, hätte mir vorher niemand erzählen dürfen. Nun gehörts zur Routine. Gepäck runter, aufgebockt, und 20 Minuten später wird klar, warum ich mir keinen Reim auf das seltsame Verhalten machen konnte. Die elastischen Gummipuffer haben sich in Wohlgefallen aufgelöst und die Metallplatte samt Mitnehmer hat sich losgerissen. Garnicht gut! Aber was willste machen, nach Hause geflogen wird nicht. Ich brauch ein Schweißgerät, und das zur Mittagszeit in einem gottverlassenem Nest im Nirgendwo. Ich stehe zum Glück auf einem Parkplatz und nicht irgendwo am Straßenrand. Ich lasse also alles offen liegen und fange an, die Straße herunterzulaufen und Klingeln zu putzen. Nicht überall ist eine Klingel, und um die Häuser ist es meist sehr still. Entweder hält man Mittagsschlaf, ist auf dem Jahrmarkt, oder verhält sich still, weil ein Steppe vor der Tür steht. Am 6. Haus habe ich Glück und jemand öffnet die Tür. Nach einem Bonjour zeige ich mit Hilfe meiner Übersetzungsapp einen vorgefertigten Text. Mutter und Sohn verweisen mich an eine Werkstatt in einem Ort den ich nicht kenne, und die natürlich Samstag zu hat. Ich zögere und gebe so schnell nicht auf. Nach und nach gesellen sich immer mehr Familienmitglieder an der Tür. Scheint eine richtige Großfamilie zu sein. Einer von ihnen hat mich wohl auf dem Parkplatz gesehen, und nun geht dem Familienoberhaupt ein Licht auf und auf einmal ist alles klar. Ich werde aufgefordert, umgehend das Grundstück zu verlassen, quatsch, den 3 Männern in die Garage zu folgen. Dort wird gerichtet, entkratet und geschweißt. Zum exakten zentrischem Ausrichten fehlen leider die Hilfsmittel. Erinnert mich an 2019, als ich die Schwungscheibe auch nur nach Augenmaß schweißen konnte. Aber was solls, besser als den ADAC anrufen. Zurück am Parkplatz wird alles wieder eingebaut. Etwas schwierig wird das Einfädeln der Kupplung unter dem Druck der Federn, aber bereits darin hab ich Übung. Am Ende verliere ich über 2 Stunden und gewinne im Gegenzug an einer Ungewissheit: wird das halten? Und wenn ja, wie lange? Soll ich jetzt abbrechen und auf dem kürzesten Weg nach Hause? Entweder es hält keine 50km, oder es hält 1000km. Ich steuere also weiter mein erstes Etappenziel an.

Die V3-Bunkeranlage in Landrethun-le-Nord ist ein weiteres Zeugnis des deutschen Wahnsinns im zweiten Weltkrieg. Noch dazu ein Technikum, was unausgereift und wegen technischer Probleme eh kurz vor der Einstellung stand, bis die Alliierten Dank neuartiger bunkerbrechender Bomben schneller waren und dem ganzen den Garaus gemacht haben. Weil Zwangsarbeiter bei diesen Bombenangriffen nicht in Schutzräume durften, gab es unzählige Opfer, von denen viele immer noch unbekannt sind. Insgesamt ist dieser Betonmoloch einfach nur Wahnsinn.

Kurz vor 6 erblicke ich wieder Tageslicht und schaue mir die Karte zwecks weiterer machbarer Ziele an. Eigentlich eine Zeit, um das nächste Nachtlager anzusteuern, aber darauf lasse ich mich nun nicht mehr ein. Trotz Panne will ich Strecke machen und hab für die nächsten Tage einen ungefähren Plan zurecht gelegt, wann ich heimatliche Gefilde erreichen will. Nur, die Ardennen schaffe ich heute nicht mehr. 250km abends 18 Uhr ist mir dann doch zu fett. Aber es ist noch 2 Stunden hell, und somit auch halbwegs warm, das soll genutzt werden. Im möglich Zielgebiet, versuche ich was ausfindig zu machen. Wieder was mit Dusche, die könnte ich nach der Bastelei heute wirklich gebrauchen. In Raismes werde ich fündig und bin am Ortseingangsschild etwas überrascht: Partnerstadt von Eisleben, wohin ich familiäre Bindung hatte und oft in den Ferien war. Raismes selbst hat auch irgendwie was von Eisleben, ich finde, die beiden passen gut zusammen. Ein graues Nest, und die Jugend heizt hier die Dorfstraße hoch und runter, bis der Empfang im Fernsehen weggeht. Kann eine interessante Nacht werden. Dafür gabs auch schon ein kleines Feuerwerk.

Noch was: was glaubt ihr, wieviel Leute haben heute bei meiner Bastelarbeit auf dem Parkplatz angehalten, haben gefragt, ob ein Problem vorliegt oder ob man helfen kann? Oder auch einfach nur gegrüßt? Oder anders gesagt: der Typ da mit der alten Karre, die keiner kennt, mit hochgekrempelten Ärmeln und Arbeitshandschuhen, Gepäck und Getriebe neben dem Hobel zu liegend, dem muß es pudelwohl gehen nach französischen Maßstab. Und es ist nicht so, daß trotz Dorfambiente wenig Verkehr war. Ich hoffe, die Biker sind nicht sauer, daß ich nicht zurück grüßen konnte, weil ich grad gedanklich woanders war.

Total distance: 311460 m

2 thoughts on “14/9 Am Ende?

  1. Thorsten says:

    Oha! Ich habe gehofft das dir eine größere Reparatur erspart bleibt. Nun ja aber dir ist ja bewusst dass reisen mit einem „Oldtimer“ immer auch die Erkenntnis bringt, dass Zeug ist nicht für die Ewigkeit gebaut…… ich drück dir die Daumen das es zumindest bis Deutschland hält. Dann gibt es endlich keine Übersetzungsprobleme bei der Reparatur. Und gute Kupplungsscheiben kann man dir dann per Express schicken.
    Trotzdem Hut ab vor deinem Eisenhintern und deiner Sport!!!! Es ist schon Wahnsinn was du mit dem Krad geschafft hast!! Halte durch!!!
    🙂

    Antworten
    1. Steppe says:

      Danke fürs Daumen drücken Thorsten, inzwischen bin ich ja wohlbehalten angekommen 🙂

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert