Wo fängt man an, wo hört man auf nach so einer Reise?

Wetter: Schwierige Sache. Man bucht seinem Urlaub im August/September, und auch, wenn man schon oft vom englischen Regen gehört hat, mental im Kopf ist das ein Sommerurlaub. Nun gut, es wird sicher öfter nass werden als normal. Aber was ist normal, und was sagt das über die Temperaturen? Ehrlich gesagt, ich hatte null Vorstellung. Ich konnte lediglich auf die Erfahrung von Norwegen zurückgreifen. Und das konnte wiederum alles bieten, von nass-kalten Tagen bis hochsommerliche Sonnenbrandgefahr. Egal, Regenklamotten sind immer dabei, nur auf die Lenkerstulpen wird verzichtet. Im Nachhinein hab ich sie mir manchmal gewünscht. Aber nur kurz. Und ich wollte nicht der erste sein, der England mit Lenkerstulpen durchquert. Da hab ich Frostbeule doch noch ein bißchen Stolz. Das Problem war meist der eiskalte Wind. Nach Meinung der jeweiligen Einheimischen war es in diesen Wochen auch kein wirklich guter Sommer. Das tröstet mich insofern darüber hinweg, daß ich einfach mal Pech gehabt habe mit dem Wetter in diesem Jahr. Zusammenfassend kann ich sagen, daß es ein super Herbsturlaub war. Etwas surreal kam es mir dennoch vor, wenn ich mir den Arsch abfror, während mir Bernde mitteilte, daß in der Heimat die Temperaturen auf über 30°C klettern.

AWO (Motorrad/Dreckskiste/Baby/simple machine): Der Motor hatte bereits letztes Jahr gute Arbeit geleistet und es gab keinen Grund, wie all die Jahre zuvor, da noch mal schnell was neues zusammenzusetzen. Den defekten Wellendichtring am Getriebe gleich am ersten Tag hab ich mir selber zuzuschreiben, weil ich beim Schrumpfring nicht aufgepasst habe, welcher eine Beschädigung hatte und den Dichtring praktisch gefressen hat. Das nun auch noch der Wellendichtring am Motor, und dann auch noch hinter der Schwungscheibe inkontinent wurde, war nun blöder Zufall. Gemessen an den Kilometern, die ich so in den Urlauben zurücklege, erhöht das aber nun mal die Wahrscheinlichkeit, daß dies sehr wahrscheinlich im Urlaub passiert und nicht in heimischen Gefilden. Lösbar, wenn man Ersatz findet und allein mit dem Druck der Kupplungsfedern klar kommt bei der De-/Montage. Aber Dank Colin auf den Shetlands war beides kein Problem. Aller besten Dank überhaupt noch mal an die Helfer da oben auf dieser abgeschiedenen Insel.
Tja, dann wäre da noch der Seitenständer. Zu Hause schon bei Meister Raik verstärkt, dachte ich, ich sei gut gerüstet. Ich habe aber nicht mit den Spanngurtmeistern auf den Fähren gerechnet, die sicher gut darin sind, LKWs zu verzurren, aber jegliches Feingefühl vermissen lassen, ein altes Motorrad zu sichern. Überhaupt diese selten dämliche Idee, ein Motorrad auf dem Seitenständer angurten zu wollen. Wenn du da nicht dazwischen gehst, verzerren die dir den ganzen Rahmen. Mir fehlen da echt die Worte. Der Streitereien mit den Angurt-„fachkräften“ auf den Fähren gab es einige. Dem Ständer hats trotzdem geschadet, und es gab gleich zwei Einsätze zum Schweißen. Der letzte der beiden war dann schon echt rabiat. Sieht jetzt gewaltig aus, aber scheint nun auch größere „Spannungen“ zu halten. Übrigens, beim Versuch, sie einmal auf den Hauptständer zu stellen auf einer Fähre, habe ich mir beim Abbocken Zerrungen in zwei Fingern und Unterarm geholt, weil mit Gepäck keine großen Griffmöglichkeiten vorhanden sind. Und zusammen mit dem Gewicht und einem Metallständer auf Metallboden (rutscht wie blöd) ist es irrsinnig schwierig, die Mopete wieder vom Ständer zu bekommen.
Tja, und dann die Kupplung. Ich habs ja schon geschrieben, beim Gummi wird in letzter Zeit viel gepfuscht. Alles nur noch bröseliges Zeug. Die alten DDR-Gummis waren zwar auch nicht auf Dauer elastisch, aber statt zu zerbröseln sind sie einfach nur steinhart geworden. Das hätte der Kupplungsscheibe nicht geschadet. Und sind die vier Gummimupfel erst mal davongebröselt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Bleche der Scheibe auseinanderfliegen. Auch hier hatte ich wieder ganz großes Glück, daß ich zweimal in Ortschaften liegen geblieben bin. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, auf einem Dorf jemand mit Schweißgerät zu finden. Und auch, wenn in Frankreich nicht gleich jeder aus seinem Haus springt, um dir tatkräftig zur Seite zu stehen, hat es mit höflichem Fragen am Ende doch gut geklappt. Auf das bekloppte Grüßen vorbeifahrender Biker kann ich gern verzichten, während ich mit einem Getriebe in der Hand neben meiner AWO sitze. Voll…! Beim ersten Kupplungsschaden hielt keiner an und fragte, ob Hilfe nötig sei, am zweiten Tag hielten immerhin zwei Frauen an und erkundigten sich. Ich beende das Thema lieber mal an der Stelle, bevor ich mich noch in Rage schreibe.
Die Reifen wurden zu meiner Überraschung dieses mal kein Problem, obwohl ich Mitte der Reise schon ängstlich wurde, was die Profiltiefe anging. Am letzten Tag vor der langen Autobahnetappe hatte ich noch mal nach dem Profil geschaut und war mir sicher, das bringt dich noch locker bis nach Hause. Da ist immer noch soviel drauf, daß es mich durch den Herbst bringt. Da hat sich der Umstieg auf Dunlop bezahlt gemacht, da ich die über 8000km mit Heidenau oder Mitas nicht geschafft hätte.
Das beim Ölwechsel in Irland gefundene Stück des Lagerkäfigs vom großen Kurbelwellenlager gibt noch Rätsel auf, denn das ließ schlimmes befürchten. Allem Unken zum Trotz lief das Motörchen bis zum Schluß wie ein Bienchen. Nein, nicht dieser Schluß ‚ … lief bis zum Schluß, bis es krachte …‘ Bis zum Schluß meiner Reise. Und am letzten Tag auch ohne Streicheleinheiten, sondern straff zwischen 85 und 95 Sachen. Je nach dem, wie steil die Berge oder stark der Gegenwind war. Hat’se fein gemacht!

Gesundheit: Kaputt nach über 4 Wochen. Neben der der angesprochenen Zerrung tut mir vor allem die rechte Hand vom bremsen weh. Zwischendurch hatte ich sogar mal ’nen blauen Daumenballen. Nicht, daß ich ängstlicher geworden bin und nur noch an der Bremse hänge, aber irgendwie war es auf dieser Tour aufgrund der vielen von mir ausgesuchten kleinen Straßen so, daß man doch öfter zupacken mußte.
Und nach 2018,2019,2021 und 2022 endlich mal wieder keine Halsschmerzen und kein Männerschnupfen. Dabei war das Wetter prädestiniert dafür.

Sinn und Unsinn: Warum sollte man mit einem fast 70 Jahre alten Motorrad auf die Shetland-Inseln oder die Äußeren Hebriden fahren/schippern? Sicher, weil man es kann. Aber diese Antwort alleine würde diese Tour ziemlich sinnentleert erscheinen lassen. Für Nichtmotorradfahrer ist das sicher schwer zu begreifen. Warum nimmt der nicht ein anständiges Fahrzeug, am besten wasserdicht und mit Heizung? Und warum in diesem unbequemen, engen, kalten Zelt? Bei dem Wetter? Selbst unter Motorradfahrern wirft solch eine Tour Fragen auf. Indirekt bestätigte sich mir das, denn je weiter ich in den Nordwesten vorstieß, um so weniger Motorradtouristen fand ich vor. Es gab Tage, da habe ich außer mir keinen einzigen gesehen. Und selbst die in den letzten 4 Jahren überhandnehmende Zahl von Wohnmobilen war da oben einfach nicht anzutreffen. In Norwegen drüben hättest du an jeder Tankstelle bis zum Nordkap welche getroffen. Dabei – und jetzt komme ich zum ersten Grund – haben selbst so karg erscheinende Landstriche, wie die Shetlands oder die Hebriden ihre Reize. Ich brauche diese Kontraste aus Postkartenidylle norwegischer Fjorde bei Sonnenschein und zerklüfteter Küsten bei Windstärke 6 oder 7. Ich möchte keine Sonne und 25°C Dauertemperatur auf den Inseln da oben, weil das nicht der Natur entspricht. Jedenfalls noch nicht. Ich will das Land so kennen lernen, wie es ist, mit Sonne, Sturm und Regen, und was die rauen Begebenheiten aus dem Land und den Menschen machen. Zu meiner Überraschung macht das aus unserer Mitteleuropäersicht miesepetrige Wetter keine miesepetrigen Menschen. Wenn ich nur sonnenbaden wollte, müßte ich jedes Jahr nach Korsika fahren. Will ich aber nicht, dafür ist mir die begrenzte Zeit in meinem Leben zu Schade. Und auch, wenn ich mit der AWO wohl nicht mehr die Welt umrunde, für Europa reicht es, und es gibt hier so viel zu entdecken, daß die Zeit einfach kaum reicht. Mit dem Reisen und Entdecken bin ich groß geworden, auch wenn das in der DDR aus Gründen in meinen Anfangsjahren sehr begrenzt war. Und während andere ’89 Farbfernseher und Westautos wollten, war ich froh, die Welt entdecken zu dürfen. Als Kind habe ich die Welt erkundet, in dem ich mir die 4 Bände von Meyers Universallexikon meiner Eltern krallte und von vorn bis hinten durchblätterte. Mehrmals in meiner Kindheit, weil es ein Fenster war nach draußen, wohin ich in meinem Leben wohl nie kommen werde. Gut, die Welt ist es bis heute nicht geworden, aber ich bin auch froh sagen zu dürfen, nie als Pauschaltourist unterwegs gewesen zu sein, sondern immer auf eigene Faust gereist bin. Denn das wahre Reisen ist das, was man zwischen Start und Ziel entdeckt. In einem Flugzeug entdecke ich da nur Wolken und mit Pech Thrombose.
Und warum nun der ganze Spaß auf der AWO? Weils mir auf einer BMW GS zu langweilig wäre, so mit Griffheizung und so? Ich habe kein Bezug zu einem neuen Motorrad. Klar kannste kaufen, und wieder verkaufen. Aber da steck ich nicht drin. Bei der AWO kenne ich jede Schraube, innen wie außen.
Die AWO lief mir zwar eher zufällig über den Weg und war ’89 bestimmt nicht mein Wunschmotorrad, von der ich immer geträumt habe, aber da stand sie nun mal. Und weil ich in den 90ern auch nicht im Geld gebadet habe, hab ich mich damit arrangiert.. Zurückblickend bin ich froh, mein Geld nicht in irgendeine Rennsemmel oder großen V2-Zylinder versenkt zu haben, sondern – teils schmerzvoll – meine Erfahrungen gesammelt habe, und Zeit und Geld weiter in das gute alte Stück investiert habe. Ende der 90er habe ich aufgehört, mir über ein anderes Motorrad Gedanken zu machen. Man lernt ja nie aus, und im Laufe der Zeit reifte die Kenntnis, wenn man die Sache ernst nimmt mit dem alten Eisen, dann kannst du auch damit deinen Spaß haben und die Welt, naja, Europa entdecken.
Erkenntnis eins: man kommt auch mit 15PS ans Ziel!
Erkenntnis zwei: ich bin langsamer, also habe ich mehr Zeit für Gegend!
Erkenntnis drei: die AWO/der Oldtimer ist ein Türöffner und man kommt viel schneller ins Gespräch!
Und daraus entwickeln sich manchmal längere, sehr interessante Konversationen, wenn das Motorradthema erst mal abgehakt ist. Allein auf dieser Reise durfte ich wieder unheimlich interessante Menschen kennen lernen, und nicht jeder von denen war Motorradfahrer. Es gab aber auch die überheblichen Gestalten, die von dir keine Notiz genommen haben, dich belächelt haben. Manchmal hatte ich den Eindruck, es kostete den einen oder anderen jede Menge Kraft, ja nicht rüber auf das alte kleine Ding zu schielen. Muß ein rumänischer Lastenesel sein oder so. Nichts, was mit Motorrad zu tun hat, nicht meine Liga. Das, und vor allem der Tag mit der defekten Kupplung hat mich wieder mal über das Grüßen unter Motorradfahren nachdenken lassen. Nicht das erste mal in den letzten Jahren. Genauso könnte ich jeden Dacia-Fahrer grüßen, was nun wirklich sinnentleert wäre. Wozu also dieses alberne Gegrüße? Von früher kenne ich das schon noch, daß da mal angehalten wurde und gefragt wurde, wenn es nach einem Problem aussah. Ich glaub, ich lass den Blödsinn in Zukunft.

Großbritannien und Irland: Sagenhafte Landschaften. Meine Befürchtung, ich müßte mich von Nationalpark zu Nationalpark hangeln und würde dazwischen Durststrecken erleiden müßen, haben sich nicht bestätigt. Alle Varianten schienen dicht beieinander. Hügel- und Bergkettten, die an das sanfte Muldental erinnern, nur um hinterm nächsten Berg an norwegische Hochebenen erinnert zu werden, oder in Irlands Süden plötzlich von alpinen Passstraßen überrascht wird.
Ich habs ja schon erwähnt, aber am Anfang sehr ungewohnt, dort grüßen Fußgänger und Autofahrer mitunder dich als Motrradfahrer. Irgendwann begriff ich, so viel Verwechslung kann es nicht geben, daß dich für einen ausm Nachbardorf halten. Frankreich war da leider schon wieder ein ziemlicher Kontrast.
Kilts? Habe ich gesehen. Einen! Ok, so lange hab ich mich in den Highlands nicht aufgehalten, aber die Schotten feiern ja nun auch nicht jeden Tag Fasching für die Touristen. Also sollte man auch nicht erwarten, daß man an jeder Ecke welche sieht. Der eine, den ich auf einer Fähre gesehen habe, war aber ein Modellathlet vom Herrn. Zwar auch nicht mehr der jüngste, aber er schien der diesjährige Meister der Highlandgames-Meisterschaften zu sein. Ist nicht mein Ding, auf einen Menschen mit einfach mit der Kamera draufzuhalten. Ich konnte den Typen aber auch nicht einfach fragen, ob er mal für Steppis Kalender posieren möchte. Mit meinem broken english wäre ich vielleicht über Bord gegangen, wer weiß …
Castles, oder Kastelle, hab ich längst nicht so viel gesehen, wie man vielleicht vermuten würde. Da ich meine Stecken nicht nach Sehenswürdigkeiten koordiniert habe, habe ich vielleicht einfach nur Pech gehabt, oder mein Bild trügt einfach von Schottland. Trotzdem gab es welche zu bestaunen, auch wenn ich letzten Endes keines betreten habe.

Schluß mit dem Geschreibsel. Vielleicht ergänze ich im Laufe der Zeit noch was, wenn mir was einfällt. Was trotz durchwachsenem Wetter bleibt, ist eine fantastsiche Reise erlebt zu haben und ein weiteres Stück Europa kennen lernen zu dürfen. Sich wieder mal bewußt zu werden, welch Privileg es ist, reisen zu dürfen und zu können und die Bedingungen dafür erfüllt sein müßen. Danke an die Mitlesenden und Daumendrücker, edlen Spender und auch die, die nur die Bilder schön finden und den ganzen Kram hier garnicht lesen.

Die GPX-Daten sprechen von 9897km. Das schließt alle Fähren mit ein. Gefahrene Kilometer laut Tacho waren es 8214km.

Total distance: 9897433 m

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