Maghreb - Wo die Sonne untergeht

18/8 مراكش ⵎⵕⵕⴰⴽⵛ Marrakesch

Die letzte Nacht setzt dem Erlebnis El Jadida die Krone auf. Gegen 2 begab ich mich zu Bett, was in Deutschland durchaus als spät bezeichnet wird. Im Nachhinein hätte ich bis zwei schlafen sollen und anschließend das marokkanische Nachtleben in schmalen Gassen geniessen sollen. Hinterher ist man klüger. Und manch Bewertung bei booking.com lässt diese doch etwas fragwürdig erscheinen. Zwischen 2 und 3 findet sich eine Familie ein mit Kindern. Es ist niemand leise, und es scheint die richtige Zeit zu sein, sich bei offenem Fenster um den Abwasch zu kümmern. Und gegen 3 fängt gegenüber von meinem Fenster das Nachtgebet an. Bei offener Tür dringt lautstark Gebetsgesang und TV-Soap in die Gasse hinaus. Ja, beides zur gleichen Zeit aus dem selben Haus. Später setzt noch das gesprochene Nachtgebet vom Bewohner ein. Auch nicht gerade im Flüsterton, mal unten aus der Haustür, mal oben von der Terrasse zu vernehmen. Dieser verlässt gegen 5 im weißen Gewand sein Haus zum Morgengebet. Und dann ist endlich Ruhe. Ich bin total fertig, weil es auf mich in der Lautstärke einen aggresiven Eindruck machte. Ich gönne den Bewohnern ihren Glauben, aber nicht booking.com für die manipulativen Bewertungen. Ist ja wohl kaum möglich, daß ich der erste bin, der Nachts aus dem Bett fällt.
Gegen 9 falle ich wirklich aus dem Bett, schaue in den Spiegel und denke, das Elend hast du schon mal irgendwo gesehen. Beim Verlassen des Hauses Richtung Frühstück – einmal quer durch das portugisische Viertel – vernehme ich vom Nachbarbalkon die Worte „schönes Motorrad“. Ich schaue verdutzt nach oben und dann zum Motorrad. Und weil aller guten Dinge 3 sind – obwohl verdutzt nicht unbedingt was positives beinhaltet – bin ich gleich noch mal verdutzt, daß ein etwa 7-jähriger Junge sich doch sehr an gegen das Motorrad lehnt. Sofort bin ich dankbar über die Schweißarbeiten letztes Jahr in Wales, die dem Seitenständer wieder einen höheren Belastungsgrad beschert hat. Und die dritte und vorerst(?) letzte Verdutzung ist, daß der AWO ein Licht aufgegangen ist. Ich versuche mit winkendem Zeigefinger dem Jungen klar zu machen, daß das alles nicht gut ist und bekomme von oben Unterstützung in einheimischer Sprache.
Nun beginnt mit dem Bewunderer vom obigen Balkon ein kleines und sehr interessantes Gespräch über Reisen und Politik. Er entpuppt sich als marokkanischer Reiseleiter, spricht sehr gut deutsch, und besitzt gute Kenntnisse über das geteilte und geeinte Deutschland. Gerade Unkenntnis zu ersterem verursacht leider zu oft Frust, wenn bei der Erwähnung von Simson nur ein defizitäres „Simpson!“ mit einem Ausdruck der Freude über die Lippen kommt und sich die Mundwinkel nach oben ziehen im Glauben, man habe etwas verstanden und ein Licht ist aufgegangen. Wenn so gleich die Mundwinkel wieder nach unten fallen, weil man nichts mit DDR, GDR, RDA oder east germany anfangen kann, dann denke ich auch, ein Licht ist aufgegangen. War leider Schwarzlicht.
Mein Gesprächspartner ist die Art von Mensch, auf die ich mich liebend gern einlasse. Ein breitgefächertes Wissen, keine Platitüden, seine ruhige Art, seine Sichtweise auf Dinge der alten und neuen Zeit zu artikulieren, imponieren mir. Zu gern würde ich dieses Moment einfach festhalten und alles andere um mich herum vergessen. Doch selbst in einem langen Urlaub bürdet man sich Verpflichtungen auf und versucht Struktur in die Reieplanung zu bringen. Was gäbe ich, keine Verpflichtungen mehr zu haben und das Leben an sich wäre ein einziger Urlaub. Und man treibt durch die Welt und trifft Leute, konversatiert mit ihnen, bis alles gesagt ist, und lässt sich aufs neue treiben. Heute jedoch steht mit Marrakesch als Reiseziel auch ein Höhepunkt meiner Reise auf dem Plan und ein Treffen mit einem alten Bekannten aus gemeinsamen Fußballtagen. ‚Plan‘, darin liegt oft das selbstgemachte Problem im Leben.
Nach dem Gedankenaustausch und dem Frühstück merke ich bei der Rückkehr zum Motorrad, daß der Plan mit dem erhobenen Zeigefinger und ernstem Blick auf kleine Kinder auch nicht von Erfolg gekrönt sein muß. Wie hat der Kleine es geschafft, den Gasdrehgriff so zu verdrehen, daß selbst der Bowdenzug über den Handbremshebel gesprungen ist? Bevor ich jetzt verharre und doch noch richtig sauer werde, packe ich meine Klsmotten und sehe zu, daß ich aus El Jadida verschwinde. Nur wenige Ortschaften zieren den sehr gersdlienigen Weg durch die Einöde Richtung Marrakesch. Etwa 50km vor meinem Ziel beginnt es nun richtig heiß zu werden. Von 44°C schreibt der Wetterbericht. Das ist die Schattentemparstur, nur fahre ich leider in der Sonne. Es braucht schon eine gewisse Physis, dies längere Zeit durchzustehen. Und wenn ich in Deutschland bei 30°C die schwere Motorradjacke anziehe und glaube, daß stehe ich keine 5 Minuten durch, dann ist es hier genau umgedreht. Was gut gegen Kälte ist, ist auch gut gegen Wärme. Und so bietet die Jacke auch irgendwann wieder Schutz vor zu viel Hitze. Auch wenn das Adjektiv ‚angenehm‘ in dem Fall absolut keine Anwendung findet. Leider kommen auf den letzten 30km noch mal etliche Baustellen und Umleitungen in die Quere und verlängern somit die Reisezeit. Von unnötig möchte ich nicht schreiben, weil es gut ist, daß die Straßen modernisiert werden. Und trotz der hohen Temparaturen wird hier gearbeitet. Ich bin verunsichert, ob ich Respekt zollen soll oder mich fragen muß, ob das vielleicht Sklaventreiberei ist. Kurz vor dem Ziel ein letzter Tankstopp und mit meinem Kompagnon über die gemeinsame Ankunftszeit kommuniziert. Fichte seines Namens nach kommt aus entgegengesetzter Richtung von einem mehrtägigem Gebirgs- und Wüstentrip zurück und ich werde mich in seiner Unterkunft mit einquartieren. Ich habe noch Zeit für einen Kaffee olé, welcher auch bei dieser Hitze nicht verkehrt ist. Schwitzen tut man so oder so, und je wärmer es ist, um so wichtiger ist es, keine eiskalten Sachen in sich reinzuschütten. Auf die letzten Meter verzichte ich gerade im Stadtverkehr gern auf die Handschuhe. Als ich aus dem Schatten auf die Straße dringe, merke ich sofort, daß dies ein Fehler ist. Spreche ich bei Temparaturen von über 30°C gern davon, es ist, als ob man einen Fön vors Gesicht gehalten bekommt, ist es nun das Gefühl einer Heißluftpistole, welche mir in diesem Fall die Finger versengt. Jetzt muß ich durch, es sind nur noch wenige Minuten bis zum Ziel. Das Appertement liegt ca. 2km vom Zentrum entfernt und läßt vom Flair, den ich mit Marrakesch verbinde, nichts erahnen. Es ist ein Wohngebiet, wie es in jeder halbwegs zivilisierten Vorstadt sein könnte. Am Ziel sehe ich bereits Fichte und seinen Safariguide stehen. Nach über 5 Jahren geschieht es also nun, daß wir uns endlich wieder zu Gesicht bekommen und gemeinsam mal wieder ein (gelogen) Bier trinken werden. Was wir in Leipzig auf einer Entfernung von etwa 10km all die Zeit nicht auf die Reihe bekommen haben, verwirklichen wir nun im 2752km entfernten – ich habs nachgemessen – Marrakesch! Als ob nichts näher liegt.
Der Abend sieht dann folgendermaßen aus. Zwei Typen sind im ziemlich alkoholfreien Marokko auf der Suche der ersehnten Hopfenkaltschale leicht überfordert. Mit leichten Orientierungsdefiziten und viel zu spät dran, um in einen der wirklich rar gesähten Shops mit dem ersehntem Getränk fündig zu werden, weil sie einfach vor verschlossenen Türen stehen, schaffen es zumindest mit Hilfe von Suchmaschinen im Internet eines der ebenfalls rar gesähten Gastronomielokale zu finden, welches die kühle Erfüllung des gemeinen Mitteleuropäer im Angebot hat. Mit zittrigem Finger weisen wir in der Menükarte auf die sehnlichste Erfüllung an diesem Abend und bekommen es sprichwörtlich eimerweise serviert. 5 Flaschen zwischen Eiswürfeln in einem Blecheimer stehen wenige Minuten später auf dem Tisch. Noch mal wenige Minuten später der zweite Eimer. Das wir kurze Zeit später nicht unter dem Tisch lagen, ist dem Umstand geschuldet, daß es sich lediglich um Schluckflaschen mit 0,25l Inhalt handelte. Wieder daheim pflegten wir noch etwas die alte Sitte: dont bogart that …

Details
20250818

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert