24/8 Marrakesch in Zeit und Raum
Sehr früh am Morgen mach ich mich nun auf, um mit der AWO mitten ins Herz von Marrakesch vorzustoßen. Mitten heinen in die Medina. Nicht, daß es Sinn machen würde, in engen Gassen zwischen Menschenmengen mit dem Motorrad zu manövrieren und dabei niemand über den Fuß zu fahren. In Deutschland wäre dieses Schauspiel undenkbar. Die Einheimischen brettern ganz anständig mit ihren kleinen Maschinen durchs Gewühl, und, da es nun mal erlaubt ist, nun auch ich. Nur mal zum Vergleich: ich habe Videos gesehen, wo mit modernen Geländemaschinen, die mit Koffern und allem drum und dran noch mehr Platz brauchen als eine bepackte AWO, ebenfalls die Innenstadt von Marrakesch beackert wird. Ich bin mir am Abend bewußt, daß man mit solchen Sachen keine Pluspunkte als Biker bei Nichtbikern sammelt. Aber hey, wieviel Autofahrer würden die Gelegenheit nutzen, ebenfalls kein Schritt zuviel zu laufen und würden – wären die Gassen nur etwas breiter – ebenfalls ihr Vehikel überall hinein manövrieren. Und dies ist vor allem in Deutschland sehr gut zu beobachten, wo Einfahrtverbotsschilder auch gern bei Bedarf ignoriert werden. Ich spüre gerade ein Zucken zwischen Zeige- und Ringfinger …
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, am Stadttor Bab Agnaou. Um 13 Uhr, also so früh, wie es mir möglich war. Und ich werde auch gleich richtig willkommen geheißen. Aus dem Stadttor kommt ein alter Mann auf mich zu fragt mich nach meiner Herkunft. Auf meine Antwort hin meinte er in englischer Sprache, Deutschland gebe es nicht mehr. Und ich dachte mir, da waren die Russen aber schnell! Ist man mal 2 Wochen nicht da, und schwupp, ist die alte Heimat weg. Er sprach dann aber weiter, daß wir mit unserem Eiertanz mit dem Öl und Gas der Russen uns wohl selbst abgeschoßen haben und wir auch so ziemlich beknackt sind. Deutschland gibt es nicht mehr, basta! Er hat aber auch einen Rat für mich parat, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen: ich solle zum Islam konvertieren. Komischerweise fährt meine AWO in diesem Moment, wie von Geisterhand gesteuert, mitten hinein in die Gassen von Marrakesch. Die einzige Religion, der ich folge, ist meine AWO und die Reisefreiheit, die bekanntlich 1989 eine unerwartete Wiederauferstehung feierte. Und diese Freiheit zelebriere ich nun an einem gemütlichen Café, wo sich gerade so viel Platz bietet, um von der AWO und mir einen Schnappschuß zu machen. In dem Fall bin auch ich ein ganz profaner Tourist, der dem (Beweis-)Bild hinterher hechelt. Sehets, ich war mit AWO mitten in Marrakesch. Weiter durch die Gassen, erstehe ich ein Stapel Postkarten, und später auch Briefmarken, welche ich an einem weiteren Café miteinander verheirate. Und immer, wenn ich anstandslos mein Geld überreiche, verspüre ich sofort ein schlechtes Gewissen: ‚Was, du willst nicht feilschen?!‘. Monty Python forever! Irgendwann spuckt mich die Medina wieder aus und ich begebe mich wieder zu Fichte, der bereits auf gepackten Taschen sitzt. Ein letztes Abendmahl gemeinsam in Form von Nudeln. Ich zeige ihm das Rezept ohne Waschbecken. Danach verabschieden wir uns und er macht sich mit dem Leihwagen auf dem Weg zum Flughafen. Er wird in 24 Stunden wieder auf dem heimischen Sofa liegen, während für mich Marokko jetzt erst richtig beginnt.