25/8 Auf dem Dach Marokkos
Verwegene 400km stehen heute als Ziel auf meinem Navi, als ich mich auf dem Weg nach Tinghir mache. Völlig illusorisch, wenn man sich die Streckendetails anschaut und die Uhrzeit, um die ich starte. Ich komme mal wieder nicht richtig aus dem Quark und hab die Nacht auch schlecht geschlafen. Egal, was nun zählt, ist erst mal aus Marrakesch herauszukommen und später den Abzweig in die Berge nicht zu verpassen. Am Abzweig hab ich dann noch mal nachgedacht, was gut wäre, wenn man in die Berge fährt. Sicherungsseil, Fernglas, frische Schlüpper, und richtige Sandaletten. Nur eins hab ich vergessen: Benzin. Also wieder 10km zurück und getankt. Aber nun rein ins Vergnügen. Es geht am Anfang noch gemächlich zu. Mehr und mehr windet sich die Straße an den Berghängen in die Höhe und mit jedem Höhenmeter gibt der Atlas mehr und mehr von sich Preis. Und bei Gott, es ist atemberaubend. In den Tälern und Bergrücken schmiegen sich vereinzelt kleine Dörfer, teils verlassen, teils bewohnt. Und manchmal ist der Übergang fließend, wenn man meint, ein historisches und verlassenes Dorf zu finden, dann aber um die Ecke ein Auto parkt, welches nicht so historisch ist und wohl offiziel angemeldet ist. Manche Gebäude oder Reste davon wirken wie ein open air Museum. Geschichte zum anfassen. Und obwohl ich ein Freund von lost places bin und gern in alten Gemäuern umher schleiche, verkneife ich mir hier diese Aktionen diesmal. Auch weil ich die bauliche Substanz nicht einschätzen kann und der Weg im bergigen Gelände nicht ganz ungefährlich ist. Schön anzusehen ist es auch von außen allemal. Regt doch auch die orientalische Architektur die Fantasie an und lässt hier und da Märchen aus Tausendundeine Nacht im Kopf entstehen. Es folgen nun viele Kilometer grandioser Natur, etliche fotogene Motive, und ein Straßen- und Wegenetz, daß, wollte man es in Worten erfassen, hier den Rahmen sprengen würde. Funktionstüchtige Straßen säumen nur sehr wenig meinen Weg. Denn wo sie einmal gewesen sind, eher schmal und uneben vermutlich, wird viel dafür getan, ein modernes Straßennetz entstehen zu lassen. Ob und in welchen Zeitrahmen dies geschehen wird, kann ich nicht beantworten. Doch immerhin hat man schon mal viele Abschnitte auf Breite gebracht, abgefräßt und von Fels befreit. Mangels Niederschlag und bei nicht allzuviel Splitt sind diese relativ gut befahrbar, wenn auch nicht schnell. „Etwas“ spannender werden die Wege, bei denen wohl niemand vor hat, sie in Straßen zu verwandeln. Wahre Offroadstrecken, eine Mischung aus Feld- und Gebirgsweg, die den Schwierigkeitsgrad teils stark ansteigen lassen. Ich glaube, die meisten Besitzer einer AWO würden diese Wege nicht ansatzweise befahren. Meine theoretische Grenze liegt dort, wo ich auf keinen Fall mehr vorwärts komme, aber noch die handbreit Luft habe, um unfallfrei umkehren zu können. Nur, daß ist Theorie! In diesen Bergen hier kann eine Sekunde gepennt darüber entscheiden, ob ich abends im Pool oder im Krankenhaus liege. Wenn die Lichter ganz ausgehen, ist es egal, wie und wo du liegst. Ich muß zugeben, daß es Stellen heute gab, von der ich meiner Mama besser nichts davon erzähle. Aber eins ist auch klar: ich schreibe, also bin ich! Am Abend, von den avisierten 400km hab ich nur gut die Hälfte geschafft, habe ich dann doch wohl ein Erschöpfungslevel erreicht, der zumindest in dem Moment zum lachen ist. An einem Abzweig, der nun ein besonders erschwerlicher Gebirgsweg zu werden scheint, steht ein Schild mit Sperrzeichen und noch anderen Dingen darauf, die ich nicht entziffern kann. Ein guter Zeitpunkt, eine Übernachtungsmöglichkeit in der Gegend zu finden und es an der Stelle auf sich beruhen zu lassen. Eine bestens bewertete Herberge hier in den Bergen in nur 4km Entfernung soll nun mein Ziel für den heutigen Tag sein. Also gebucht und auf den Weg gemacht. Also gefahren, ich mache nicht so einfach auf den Weg. 500 Meter vor meinem Ziel endet die Straße abrupt und ein wirklich nicht befahrbarer Fußweg bildet nun den Rest meines Weges. 10€ für eine Übernachtung mit diesem Panorama ist nun wirklich geschenkt. Aber ich lasse weder mein Motorrad so weit weg von meinem Schlafplatz stehen, wohl wissend und die vielen höherschlagenden Kinderherzen dieser Gegend beim Anblick dieses neuen Spielzeugs, noch schleppe ich meine Taschen 500m den Berg hoch und lasse die Hälfte meines Gepäcks zurück. Traurig aufgrund der doch wunderschönen Lage buche ich die nächste Unterkunft außerhalb der Berge. Am bereits erwähnten Sperrschild möchte ich nun aber doch noch kurz reinschnuppern, um zu erfahren, ob es sich lohnt, am nächsten Tag hierher zurückzukommen. Und nun, da ich nur 1m vom Schild entfernt stehe, erkenne ich auch die anderen Zeichen und Wörter. Ich sag mal so, daß von mir erkannte Sperrschild entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein Teller mit irgendwas drauf. Richtig, ein Teller mit rotem Rand. Und weil das Schild auch schon etwas verwittert ist, habe ich aus 10m Entfernung eben nur erkannt, was meine Augenlichter ohne Brille und mit einer gewissen körperlichen und geistlichen Erschöpfung meinem Gehirrn suggeriert haben. Nämlich ‚Du kommst hier net rein!‘. Unglaublich, aber in dieser Gegend haben Schilder zwei Funktionen gleichzeitig, wie in der Quantenphysik. Einmal Verbotsschild, und einmal Werbung für ein Restaurant um die Ecke. Mein korriegiertes Ziel liegt nun in einem abgelegenen Dorf neben der Straße außerhalb der Berge. Nach einem guten Dinner labere ich mit dem Hausherren noch ein bißchen über Gott und die Welt, bis ich nur noch müde in mein Bett falle. Es war hammermäßig, was ich heute sehen und fahren durfte. Jetzt bin ich wirklich in Marokko angekommen!