1/9 Heute: Das Meer + Sonderprogramm
Die Bediensteten freuen sich jedesmal, wenn Steppe mit seiner als Objektiv getarnten Thermotasse um die Ecke kommt und um heißes Wasser bittet, welches ich auch ohne Anstehen anstandslos bekomme. Danach gehts aufs Deck und ich versuche, ein möglichst schattiges Plätzchen, und noch dazu einen der raren Sessel zu finden. Das nächste Kunststück besteht darin, niemand in unmittelbarer Umgebung zu haben, der/die das Handy so laut hat, daß man es noch 10m gegen den Wind und gegen das Meeresrauschen hört. Leider gehört Lautstärke gerade in südlicheren Kulturkreisen scheinbar zum guten Ton, und so sind auch Gruppengespräche für jederman im größeren Umkreis hörbar. In meinem Fall fühle ich mich immer auf der Flucht, als Verlierer auf der Suche nach Ruhe. Ich wünsche mir eine Ruhepolizei.
Zeit, ein kleines Resümee über Marokko zu ziehen. ‚The Landscape is beautiful‘ habe ich immer geantwortet, wenn ich von Einheimischen nach meinen Eindrücken gefragt wurde. Die Landschaft ist wahrhaftig wunderschön und über alles erhaben. Gibt es überhaupt schlechte Landschaft? Nein! Ich wurde mal gefragt, nach dem ich nun über die Jahre doch einige postkartenreife Landstriche gesehen habe, obs mir dann zu Hause überhaupt noch gefällt. Und ob. Ich muß nicht jeden Tag die Gourge de Verdon oder den Lysefjord sehen. Mein Problem ist immer nur zu viel Zivilisation. Mit dem Fahrrad (ja, ich kann auch treten) aus dem Haus raus und wenige Minuten später ein paar Wäldchen und Felder, reicht mir. Doch zurück zu Marokko. So wunderbar ich diese Landschaft auch finde, so gibt es leider auch ein fettes ABER! Dieser Müll überall! Dieses Land hat 0, in Worten null, Bezug zu dem, was sie mit ihrem achtlosen Liegenlassen von ihren gesellschaftlichen Rückständen anrichten. In Essaouira fanden wir am Strand Glasscherben im Sand, wo die Erwachsenen und Kinder barfuß ins Wasser laufen. Meine Beobachtung ist, man steigt über all den Plastemüll einfach hinweg und ignoriert es einfach. Man sitzt, wie Fichte und ich in Essaouira, in einem durchaus gemütlichen Café und draußen drehen die Plastetüten ihre Pirouetten. Auf meiner Reise sprach ich Leute direkt auf das Thema an, auch Alae im Djebli Club. Ein ganz kleiner Kreis an Menschen scheint sich des Problems durchaus bewußt, aber es wird noch viele Jahre dauern, eh es in den Köpfen der Menschen und in den Führungskreisen des Landes ankommt, daß Müll in der Natur der größte Scheiß ist. Dabei hat das Land auf touristischer Ebene ein riesiges Potential. Der nächste absolut schädliche Aspekt: die Straßen! Oder besser gesagt, die Nichtstraßen! Sehr verallgemeinert könnte man sagen: je schöner die Gegend, um so schlechter die Straßen. Allerdings wäre es etwas ungerecht, daß so stehen zu lassen. Die Autobahnen sind im sehr guten Zustand, oft besser als in Deutschland. Kostet schließlich auch Maut der Spass, wenn auch längst nicht so teuer, wie im westlichen Europa. Meine Erfahrung ist, es passiert was im Land. Es werden in den nächsten Jahren richtig gute Straßen entstehen. Doch da, wo das nicht passiert, ist es eine mittlere bis schwere Katastrophe. Ich weiß garnicht, wo ich anfangen soll. Aber das Problem mit dem Hinterrad dürfte auf die vielen bösen Schläge auf den Pisten Marokkos zurückzuführen sein. Offroad fährt man teils besser, als auf einer laut Karte offiziellen Straße. Ist es Glück, wenn zwischen all den großen und kleinen Löchern noch ein Fitzelchen Asphalt zu finden ist? Man täte gut daran, den ganzen Kram komplett abzufräsen und bis zu einem Neubau einfach so zu belassen. Ich bin in den Bergen nach Marrakesch Strecken gefahren, wo bereits Vorbereitungen für neue Straßen laufen. Auf Breite und Ebenheit gebrachte Wege, wo nur noch der Untergrund und der Asphalt fehlte. Ist natürlich nicht oprimal, aber durch den doch festen Untergrund kein Ding der Unwegbarkeit. Doch was ich teils von Central Atlas Tamazight bis hoch zur Küste erleben mußte, ist nicht nur katastrophal, es ist kreuzgefährlich. Und in der Dunkelheit lebensgefährlich. Um es auf den Punkt zu bringen: abschnittsweise sind die Straßenverhältnisse der pure Wahnsinn! Und wie siehts mit zwischenmenschlichen Kontakten aus? Ich weiß nicht so richtig. Zu hoch sind die Sprachbarrieren. Des arabischen überhaupt nicht mächtig, dem französischem eigentlich auch nicht, bliebe nur noch englisch. Bruchstückhaft, leider. Gefühlt ist es so, daß in Bezug auf Tourismus, also gerade bezüglich der Unterkünfte, eine Freundlichkeit und Kommunikationsbereitschaft durchaus vorhanden ist. Schließlich verdient man ja sein Geld an Leuten wie mich. In den Ortschaften und Läden, die weniger tourismusbezogen sind, merkt man schon den Unterschied zwischen europäischer und islamischer Kultur. Und nicht selten hatte ich ein unbehagliches Gefühl. Hier und da wurde mir zwar bestätigt, in Marokko sei alles friedlich und niemand würde jemand ein Haar krümmen, aber 6 Jahre sind für mich eine definitiv zu kurze Zeit, um den Vorfall mit den zwei skandinavischen Frauen komplett vergessen zu machen. Mir schien eher, aufgrund der damaligen Vorkommnisse ist das Land sehr bemüht, wieder ein gutes Bild von sich zu geben. Die Geschehnisse von damals haben das Land selbst schwer schockiert. Es gehört aber auch dazu, selber den nötigen Respekt mitzubringen. Meine Frage damals innerhalb einer Medina nach Bier zu fragen, erscheint mir nun um so dämlicher. Mit etwas mehr Erfahrung weiß ich nun, wo ich schauen muß, wenn es unbedingt nötig ist. Rückblickend wird mir vielleicht noch der ein oder andere Gedanke zu Marokko kommen, den ich vielleicht noch ergänze. Das Kino hat neben „Das Meer“ heute noch ein Film im Sonderprogramm: „Barcelona“. Ein Zwischenstopp um Mitternacht lässt leider nicht zu viel von der Stadt erkennen. Immerhin sehe ich in unmittelbarer Umgebung keine Mülltüten umher fliegen. Ist doch schon mal was.