29/8 Und jährlich grüßt das Murmeltier
Fähren fahren nicht immer täglich von Tanger Med oder Nador, und günstig schon mal garnicht. Zumindest nicht kurzfristig. Letzten Endes entscheide ich mich für Tanger Med nach Sète für lumpige 635€ in zwei Tagen. Somit entgeht mir ein Teil im Nordosten Marokkos, wo es noch kleine Perlen zu entdecken gilt. Das muß dann leider warten. Für heute liegt mit Fès, die älteste der vier Königsstädte, immerhin noch ein Highlight auf dem Weg nach Norden. Und mit dem Djebli Club weiß ich auch einen guten Gastgeber vom Beginn meiner Reise durch Marokko als Nachtlager zu schätzen. Und wieder einmal heißt es mitten hinein in die Zivilisationanballung einer Stadt. Widerwillig, aber wer Kulturerbe sehen will, muß auch bereit sein, zu leiden. Und so leide ich, bis ich direkt vor dem Königspalast stehe. Wobei es so schlimm heute nicht war. Da habe ich in Marrakesch oder Rabat ganz andere Sachen erlebt. Ohne einen Fuß in die Medina zu setzen, verlasse ich Fès gen Norden den Berg hinauf, und habe so noch mal einen schönen Panoramablick über Fès und das sich anschließende Plateau bis in die Ferne. Wenige Kilometer später, in einer von Gott verlassenen Gegend – welcher Gott tut hier nichts zur Sache – habe ich weniger einen Panoramablick, sondern viel mehr einen verdammt dummen Blick aus der Wäsche. Es wird unfahrbar. Nein, nicht die Straßen, über die verliere ich später noch ein Wort. Die AWO ist kaum noch händelbar und die Hinterradbremse zieht nicht mehr, da wahrscheinlich Öl darauf gekommen ist. Und so halte ich da, wo man nicht gerne hält, in der bereits oben erwähnten Gegend. Es bedarf mehr, als nur Speichen festziehen, das ganze Hinterrad muß raus, um der Sache auf den Grund zu gehen. Und so, wie ich Kardan und Hinterrad entweihe, sorry, entzweihe, wird mir ganz weinerlich. Zwischen den Bremsbacken hat sich gewaltig Aluminiumspan angesammelt. Im Hinterrad der Mitnehmer ist komplett locker und einige der Schrauben haben sich soweit herausgedreht, bis es nicht mehr weiter ging. Eine hat sich bereits unter dem Druck verbogen ist nicht mehr zu verwenden. Außerdem habe ich den Eindruck, daß das Kugellager im Mitnehmer hinüber ist. Und während ich mein Disaster so betrachte, kommen aus den unscheinbaren Hütten in der Gegend hier und da Menschen gekrochen und schauen nach dem, was da sonst nie war. Ein fünfzehnjähriger Junge, der immerhin etwas englisch kann, sowie seine jüngere Schwester. Ein mittelalter und ein alter Mann in der typischen kulturellen Kleidung. Und zu guterletzt wohl der Dorfälteste oder Bürgermeister, der zahnlos nur kurz etwas sagt und dann wieder verschwindet. Der englischsprechende Junge könnte eine Hilfe sein, doch der will erst mal wissen, ob ich Jude bin und ob ich auf Israel oder Palestina halte. Mich kotzen Menschen an, die Politik und Krieg für ein Fußballspiel halten, solang sie nicht selbst direkt darin involviert sind. Mit so viel Dämlichkeit hab ich leider schon teils auf Arbeit zu tun. Wobei hier in der Gegend würde ich wohl kaum zugeben, daß ich Jude wäre, weil das der Gesundheit in diesen Tagen sehr abträglich sein könnte. Nun, ich habe wohl zu ihrer Zufriedenheit klar gemacht, was ich bin und „auf wen ich gerade halte“. Nun ist auch die Hilfsbereitschaft eine sehr gute. Man bietet mir Weintrauben und Essen an. Doch zunächst begutachte ich den Schaden am Motorrad genauer und frage anschließend, ob sich ein neues Lager in der Umgebung auftreiben lässt. Es gestaltet sich schwierig, weil man entweder Kugellager nicht kennt in der Gegend, oder der Translator ins Arabische irgendetwas anderes daher zaubert. Erst ein vorbeifahrender Mopetfahrer sorgt für bessere Verständigung. Der hat nämlich einen Bruder, der deutsch kann. Nächste Szene: nachdem klar ist, daß es in der Umgebung keine Kugellager gibt, erklärt sich einer der Anwesenden bereit, nach Fès zu fahren, um dort das ersehnte Teil aufzutreiben. Das wird über eine Stunde brauchen und ich versuche in der Zeit, das gröbste zu reparieren. So gut es geht, entferne ich das Öl von den Btemsbacken und entferne die Späne, die sich zwischen Backen und Kardan angesammelt haben. Anschließend demontiere ich den Mitnehmer aus der Hinterradnabe und schlage das Lager heraus. Das ist zwar ziemlich fertig, aber nicht kaputt. Wenn also nichts zu bekommen ist, dann wird das so wieder eingebaut. Und der zerstörte Wellendichtring im Kardan? Seit letzten Jahr weiß ich, so etwas muß man dabei haben! Also ausgetauscht und gut. Nach etwa anderthalb Stunden kommt der Helfer aus Fès zurück. Erfolglos, wie sich herausstellt. Bedeutet, alles wird wieder montiert. Die verbogene Schraube wird ersetzt, und am Ende bleibt zu hoffen, daß der Kram noch bis nach Hause hält. Schlimmsten Falls bis aufs europäische Festland, und dann den ADAC … alles Quatsch. Die Nervosität kann ich in der Zeit während meiner Havarie nicht ablegen, benimmt sich der fünfzehnjährige Junge doch völlig aufgedreht. Labert ständig was von best friend, stellt mir ständig Fragen, die ich vorgebe, nicht zu verstehen, um keine falsche Antworten zu geben, und dann faselt er ständig Sprachnachrichten in sein Smartphon, in denen es oft um Putin und Nitanjau geht. Ich will hier nur weg! Dem Helfer, der nach Fès fuhr wegen einem neuen Kugellager, drücke ich 100 Dhiram in die Hand, was umgerechnet 10€ entspricht und wohl eindeutig zu viel war, da er bald aus den Latschen kippt. Ich bedanke mich noch mal bei allen anwesenden und dann verschwinde ich. Ich habe über 3 Stunden verloren, und aus einem gemütlichen Tag wird nun wieder ein streßiger, da ich vor dem Dunkelwerden noch im Djebli Club eintreffen will. Nach wenigen Kilometern spüre ich, daß die AWO wieder das tut, was ich will, und so wird es nun wirklich ein sportliches Unterfangen, den Rest der Strecke zu bewältigen. So sportlich, daß ich den Abzweig zur Tankstelle verpasse. Das ist noch nicht tragisch, Reserven sind genug vorhanden. Als ich jedoch in der Dämmerung die Serpentinen hoch und runter jage, wende ich einmal kurz eher zufällig den Kopf nach rechts und denke, das Bild an der Wand kenne ich doch? Richtig, der Djebli Club! Um ein Haar wäre ich daran vorbei gedonnert. So unter Strom, und doch fix und alle. Alae heißt mich herzlich willkommen, und nachdem mir mein Nachtlager zugewiesen wurde, entwickelt sich mit ihm und einem französischem Pärchen eine ausgesprochen gute Konversation am Abend. Sogar ein Dinner wird mir noch serviert und mit Alae verköstige ich noch marokkanischen Wein, bis uns beiden die Augen zufallen und wir im Bett verschwinden. Jeder in seinem!