Keine Regel ohne Ausnahme. Keine Großstädte mit der AWO. Heute ist Ausnahmetag und ich gehe, oder fahre gleich zweimal ins volle. Die Zeit zur Fähre ist großzügig und so gönne ich mir Glasgow. Ich weiß nichts über die Stadt und weiß auch nicht so recht, was ich da soll. Aber es ist nun mal ohne großen Umweg mitzunehmen, und so bohnere ich einmal mittendurch. Ich habe mir einen Punkt ins Stadtzentrum gesetzt, aber auf sonst nichts geachtet. Das Ergebnis: ich gelange auf Stadtautobahnen ziemlich schnell ins Herz der Stadt, verpasse aber damit vieles, was die Stadt vielleicht ausmacht. Was ich im Zentrum erlebe, lässt mich eher mit Fragezeichen zurück. Ich würde es als kalt bezeichnen vom Charakter her. Bauten, bei dem sich moderne Architekten sicher eine goldene Nase verdient haben, aber die Bewohner der Stadt nicht berücksichtigt. Mit dem Glasgow Science Center, Imax und dem Glasgow Tower stehen gleich 3 dieser Bauten unmittelbar nebeneinander. Zwei Dinge fallen mir auf. Es sieht etwas ungepflegt aus, das Grünflächenamt sucht sicher Fachkräfte. Und dafür, daß ich mich mitten in der Stadt befinde, ist es überraschend leer. Sicher, es ist Sonntag, aber großen Citys ist tobt immer der Bär. Ich bin mir sicher, daß das Herz Glasgow anderswo schlägt, nur nicht hier an diesem trostlosen Ort. Vielleicht bei der Glasgow University, die ich in einiger Entfernung durch die Bäume erspähen kann?

Der Weg zur Fähre findet wieder auf Schnell- und Hauptstraßen statt. Mit Umleitungen und Baustellenampeln ein so grauer Tag, wie er sich auch am Himmel zeigt. Wenigstens regnet es nicht und die Temperaturen sind erträglich. Ich hätte mir den Abschied von Schottland schöner vorgestellt, aber das wäre jammern auf höchsten Niveau. 11 Tage Schottland, von den Shetlands über die Highlands zu den Hebriden, und dann noch Skye und Islay. Das braucht Zeit zum sacken lassen. Mal durchatmen, zu Hause dann.

Und nun Nordirland, Belfast. Doch das schau ich mir erst mal eine Stunde vorm Hafen liegend an. Ein Notfall auf dem Schwesternschiff verzögert das Anlegen um knapp 40 Minuten. Und dann, dann läuft erst mal alles schief. Mein Navi hat wie von Geisterhand eine andere Strecke im Display und lotst mich in die völlig falsche Richtung. Da das Display auch nicht ins Querformat will, muß ich die ganze Zeit um 90° verdreht gucken. Somit erkenne ich erst verspätet, daß mein Ziel 234km entfernt liegt. Ausgemachter Blödsinn, vom Hafen sollten es keine 5km zur Unterkunft sein. Außerdem fängt es leicht an zu regnen und das Benzin wird knapp. Nun auf der Stadtautobahn erst mal wieder rein in die Stadt und schauen, wo ich eine Tankstelle finde. Sicher nicht auf der Autobahn. Ich hatte mir Belfast anders vorgestellt. Irgendwelche Viertel, die man als Tourist vielleicht meiden sollte und aufpasst, wo man abbiegt. Ich erlebe hier eher eine dieser modernen Citys, viel Stadtautobahn und Glaspaläste. Als ich dann doch ins Zentrum der Stadt gelange, wird das ganze schon ansehnlicher. Meine Unterkunft ist nur 1,5km vom Zentrum entfernt, so kann ich zu Fuß im Herzens Belfasts auf Entdeckungstour gehen. Und es gibt zu entdecken. Das Opera House, die im roten Licht erleuchtete City Hall, und überhaupt das Leben in Belfast. Es ist schon grass, wie nah hier Glaspalast und Absteige nebeneinander liegen. Es gibt hier scheinbar kein vornehmes Viertel und kein, naja, wie auch immer, ‚Geh da nicht hin‘-Viertel. Hier ist alles in einem. Vor einem Supermarkt liegt eine arme Sau, um die sich andere Typen wie auch immer kümmern, und keine 50 Meter weiter ist ne Nobelabsteige. Ich habe noch so viel Kontrast auf so engem Raum gesehen. Und mir auch noch nie so mulmig mit der Kamera durch die Stadt zu laufen. Ich schaue immer zweimal hin, bevor ich sie aus dem Rucksack hole. Als ich nach 10 zurück zur Herberge bin, ist schon weniger Leben in den Straßen, und auch jetzt wird es mir unangenehm. Und was ist mit der AWO? Die steht hoffentlich noch vor der Tür, wenn ich komme. Es ist eine dieser typischen umfunktionierten Mietshäuser für Touristen. Das heißt, in den Nachbarhäusern wohnen die ganz normalen Nordiren. Ich hoffe zumindest, daß sie normal sind. Denn vom bekanntesten Problem der Stadt habe ich bei meiner Wanderung nichts mitbekommen. Also kein bloody sunday, sondern ein ganz normaler Sonntagabend in einer Großstadt. Spannend war es trotzdem.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert