Maghreb - Wo die Sonne untergeht

2/9 Okzitanien

Okzitanien, oder einfach mal nichts. Nicht immer muß es schon die Überschrift sein, die den Spannungsbogen aufbaut. Ich kann mir sowieso vorstellen, daß 4 von meinen 5 oder 6 Lesern oftmals garnichts anfangen kann mit meinen Überschriften. Was da im Kopf von Steppe abgeht, ist mir manchmal selbst ein Rätsel. Manchmal stehe ich gewissermaßen neben mir und schüttle den Kopf über Steppe. Mit den Überschriften ist es oft so, daß sich im Laufe des Tages Musik oder Filmsequenzen oder -titel im Hirn manifestieren, die sich bis Abends so eingebrandt haben, daß ich sie gern in der Tagesstorry verwenden möchte. Dabei ergibt es selten Sinn, wenn man den Text eines Songs oder ein Filmtitel in reellen Bezug zu dem setzt, was ich da getrieben habe oder welches Schicksal ich damit hervorheben will. Meist ist es nur das Feeling, die Stimmung eines Liedes oder Films, daß ich zum Gleichnis setze. Eine 1:1 Übersetzung dürfte eher Zweifel daran aufkommen lassen, ob ich mir der oft englischen Texte überhaupt bewußt bin. 2019 vertonte ich im Film zur Reise ans Nordkap die Szene mit dem Motorschaden mit Neil Youngs Theme zum Film „Dead Man“. Außer, daß ich mich in dem Moment wirklich wie toter Mann fühlte, hat der Film und dessen Inhalt wohl ziemlich wenig mit einem Motorschaden zu tun. Aber dieser Moment des Motorsterbens und dieses surreale Gefühl danach kann kein Song besser ausdrücken, als dieses Stück vom Meister des Grunges himself. Oder letztes Jahr der Tripp auf den Äußeren Hebriden bei Dauerregen mit Scarborough Fair in Dauerschleife im Kopf, interpretiert von Simon & Garfunkel. Inhaltlich einfach nicht passend. Aber die Ruhe ausstrahlende Stimmung des Songs, und das es kein schlechtes Wetter gibt, hat mich in einer derart relaxten Stimmung dahingleiten lassen, das war Tiefenentspannung pur, wie sie nur sehr selten einsetzt. Wenn ich jetzt frage, was hältst du von dem Song? Jo, gut, werden wohl viele sagen. Was hälst du davon, das Visier voller Regentropfen zu haben und mit 50 durch die kargeste Landschaft Schottlands bei Dauerregen zu cruisen? Ist schon nicht mehr so toll, gell? Kommt auf den Standpunkt drauf an. Und was meinen Bezug zu Filmtiteln oder -zitaten betrifft, das ist alles altes Zeugs aus dem letzten Jahrhundert. „Dead Man“ von Jim Jarmusch, für mich ein ewig moderner Film, ist gottverdammte 30 Jahre alt. Mir ist klar, daß, wenn ich mich auf so alten Kram beziehe, noch dazu in englisch, mich kaum einer versteht, auf was ich da Bezug nehme. Tag 18/8 der diesjährigen Reise nimmt ganz am Ende Bezug auf eine Szene in „Easy Rider“. Ein Kultfilm von 1969. Verdammte 56 Jahre alt. 56! Wer kann sich heute noch an Easy Rider erinnern? Und der Song selbst nimmt Bezug auf Humphrey Bogart, der Schauspieler ist bereits 1957 gestorben. Aber wer will das heute noch wissen?
Meine Fresse, bin ganz schön abgeschweift heute. Was war denn nun heute los? Nichts und doch allerhand. Tage, wie diese, ohne krasse Highlights, gehören zu einer langen Reise dazu. Das ist der ähnliche Vergleich, wie ich gestern schrub, hehe, schrieb, daß mir die Landschaft vor meiner Haustür genauso lieb ist, wie die schönsten Postkartenmotive Europas. Runter vom Dampfer, knappe hundert Kilometer Straße ohne ein einziges Schlagloch, Campingplatz gesucht, und dann die Kulthandlung schlechthin: Nudeln kochen vorm Zelt. Und weils nun mal eine Weingegend ist, mußte ich mich nicht lange gegen mich selbst wehren, und hab eine Flasche Grenache Rosé aus der Umgebung geordert. Sollte euch der Text etwas seltsam vorkommen diesmal, nun wisst ihr, warum. Santé!

Nun muß ich das Kapitel doch noch mal aufmachen. Nach halbleerer Weinflasche und mit fertigem Text, welchen ich in der Freiluftbar des Campingplatzes verfasst habe, gesellt sich ein sizilianischer Gitarrist in Bologna lebend zu mir und beginnt eine hochinteressante Konversation mit mir. Er ist kein Klampfenspieler, der die tausendste Variation von „Heart Of Gold“ zupft, sondern autodidaktisch querbeet das Spielen gelernt. Er gibt 3 Stücke zum Besten, wovon die ersten beiden klassischer Blues sind. So ein bißchen wie Blind Willie McTell. Das kuriose: erkennt sich mit den Blues- oder sonstigen Größen nicht aus. Er spielt einfach, was ihm vom hören her gefällt. Mein englisch ist mal wieder zu schlecht, um alle Details zu verstehen, was er in seinem Leben und in Bologna so treibt, aber vor mir sitzt ein Individuum, was mir mehr Input gibt, als wenn ich Mick Jagger oder sonst wen treffen würde. Ich tauche in jemands Geschichte ein, die durch sein Erzählen greifbar wird. Durch die Orte seines Lebens, durch die sehr nahbar wirkende Geschichte seiner Schaffenskraft, alles geschieht auf Augenhöhe und macht diesen Moment, diesen Abend zu etwas ganz besonderen. Über manche Themen, die wir abhandeln, weiß er Bücher zu nennen. So weiß er zum Beispiel über den Mauerfall Bescheid und dessen soziale Folgen für die Menschen der ehemaligen DDR. Solche Begegnungen sind mit das Beste, was einem auf Reisen passieren kann. Für diese, wie aus dem Nichts entspringenden schicksalhaften Begegnungen bin ich unendlich dankbar. Neben all den ‚beautiful landscapes‘ (im Slangdeutsch: Jechend) bleiben diese Begegnungen für immer hängen. Zumindest. bis die Demenz kommt und alles klaut. Gegen eins in der Früh verabschieden wir uns. Aber nur bis zum Frühstück.

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20250902

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