Tag 23 (16/6): Blackout

Es galt einen Plan zu schmieden, wie die weitere Route gen Süden aussehen sollte. Mein Gesundheitszustand war immer noch angeschlagen, aber wenigstens waren die nervenden Halsschmerzen verklungen. Trotzdem hatte ich nach 2½ Wochen immer mehr Sehnsucht nach wärmeren Wetter. Bergen mit seiner Altstadt wäre ein lohnenswertes Ziel gewesen zum Ausklang für Norwegen. Und anschließend rauf auf die Fähre und auf der 18-stündigen Überfahrt alle 5 gerade sein lassen. Also Fähre checken und buchen. Der Preis für Motorrad war gerade noch erträglich. Leider gab es keine Ruhesessel mehr, und so mußte eine Kabine dazu gebucht werden. Summe über 550€! Nee du, so dreckig gehts mir dann doch nicht. Bernde hatte noch einen Vouchercode von Fjordline und bot mir an, diesen zu nutzen, ehe er verfällt. Nur leider wurde der nicht akzeptiert. Und so fing ich an, über alternative Routen nachzudenken. Und grübelte und grübelte, bis der Campingwart in der Tür stand und fragte, ob ich heute noch fahren will. Ein Blick zur Uhr, dammig, schon 13 Uhr. Völlig die Zeit vergrübelt. Ok, dann eben diagonal durchs Land Richtung Kristansand oder Langesund und von dort aus nach Dänemark übersetzen für ca. 100€. Hab mich dann für die 15-Uhr-Fähre am nächsten Tag von Kristiansand aus entschieden. Und unterwegs komme ich dann vielleicht noch mal bei Lom oder Vemork vorbei und kann da jeweils ein Blick rein werfen. Also Stabkirche oder Kraftwerk, wißt schon. Nach 6 am Abend war ich dann auch in Lom, und natürlich war die Kirche, wie schon 2019 für mich geschlossen. Ok, dann weiter. Von da dämmerte es gaaanz langsam im Hinterstübchen. Aber es war noch weit weg vom fallenden Groschen. Vemork ins Navi eingegeben und los. Nur die Erinnerung trügt mich, so um die Ecke war das auch nicht gleich. Am nächsten Tankstop noch mal das Navi gefragt, wie weit eigentlich Kristiansand noch ist. Ja, doch, guck an. Lass mal Vemork weg, dachte ich mir, und fahre gen Süden, so lang die Augen offen bleiben. Nun hatte ich einige Zeit, um auf meiner Fahrt durch das wunderschöne Jortunheimen den fallenden Groschen mal noch einen Stubbs zu geben. Und ich so innerlich zu mir selbst „Junge, merkst du es eigentlich noch?“. Die Fähre in Bergen hätte ich locker erreicht. Für den selben Tag aber Kristiansand zu buchen war einfach ein Moment geistiger Umnachtung. Mal so einfach 500km mehr hängt man nicht so einfach an den Tag dran. Gegen 22 Uhr beschloß ich, kein Harakiri durch die Nacht zu machen, sondern eine Unterkunft zu suchen. Und dann Gehirn einschalten und nachdenken. Von meiner Koje trennten mich von jetzt an noch 480km von der Fähre in Kristiansand, welche um 15 Uhr ablegt. Lege ich einen Schnitt von 60km/h an den Tag, macht das nach Adolf Hennecke 8 Stunden reine Fahrzeit. Und der konnte mehr als zwei Schichten in einer Fahren. Und was der kann …
1h Tank- und Pullerpausen, plus 1h Reserve für unvorhergesehene Dinge. Daraus folgt unter Berücksichtigung, 14 Uhr am Fährhafen sein zu müssen, um 4 aufstehen. Um 4! Oder Fähre sausen lassen und neu buchen? Will ich das wirklich? Ich kann das schaffen, aber dieser selbst verschuldete Panikmodus verursacht unnötigen Synapsenfasching negativer Art. Sinnlos selbstauferlegter Streß, denn einen Tag später die Fähre hätte auch völlig gelangt. Aber ich will auch nicht 100€ sausen lassen.
Und dann gab es heute ein ganzes Stück hinter Lom noch ein, naja, als Fauxpas kann man das kaum noch bezeichnen, eher eine mittlere Katastrophe. In der schönen Hochebene der Jortunheimen guckte mich bei einem kurzen Fotostopp etwas sehr wichtiges nicht mehr an. Zwischen meinen beiden Seitenkoffer leuchtete mein Rücklicht von jetzt an nur noch das dreckigschwarze Ende meines Hinterradschutzbleches aus. Kein Nummernschild mehr, kein kleines, kein großes, keine Reste davon. Weg, komplett. Du mußt zurück, obwohl die Zeit drängt. Nach wenigen Kilometern hielt ich an, um erst mal zu überlegen, wo ich es überhaupt das letzte mal gesehen habe. Ich kam so auf 150km in etwa. Vergiss es, das findest du nie wieder. Das kann während der Fahrt sonst wo hinschlittern und kaum sichtbar im Straßengraben verschwinden. Ich hab kurz, aber schmerzvoll mit mir gerungen, und es dann abgehakt. Umkehren und weiter nach Süden.
Die wenigen Stunden Schlaf, die mir blieben, waren von äußerster Unruhe geprägt.

Total distance: 388.05 km

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