Tag 5 (17/8): Wandertag I

Auf der Karte suche ich mir 3 Markierungen raus, die mir interessant erscheinen für eine gepflegte kleine Wanderrunde, auf der es vielleicht auch was zu entdecken gibt. Da mein Polnisch begrenzt ist – ok, nicht vorhanden ist – muß ich mich auf die Symbole verlassen. Eine Ruine, ein Bergwerk, und irgendwas anderes. Die knapp 13km große Runde wird mich auf Steinwurfnähe an die ukrainische Grenze bringen. Nein nein, ich werfe nicht. Nicht, daß hier noch ein Krieg ausbricht! Das will doch keiner, wo unsere elitäre Landesführung doch alles mittels Waffenlieferungen unternimmt, um Kriege zu verhindern!!!
Die Wanderstiefel schnüren, Proviant und Knippse eingepackt und ab durch die Mitte. Kaum, daß ich ein Fuß auf die Straße gesetzt habe, wird meine Tour je unterbrochen. Mir kommt ein Polizeiauto entgegen und hält mich an. Zu schnell gewandert? „Juten Tach, Ausweiskontrolle!“ Naturlich auf polnisch. Ich verstehe nur Documenta und weiß, was die beiden wollen. Die Fahrerin, jung und vom Typ Barbie, lange blonde Haare, tätowiert von oben bis unten – ja, ich weiß, Barbie war nicht tätowiert – , daneben ein Brummbär, nicht mehr ganz so taufrisch. Beide geben ein Bild ab, wie aus einer zweitklassigen Vorabend-Krimiserie. Egal, sie sind echt, und ich hab Bange, daß sie mir was von Grenzgebiet und ich ’nix hier sein dürfen‘ erzählen wollen. Die Verständigung ist ziemlich schwierig, denn mit Englisch habens die beiden nicht so. Er schon gar nicht. Wo ich übernachte und was mein Ziel sei, wollen sie wissen. Und natürlich, was ich im Rucksack habe. Während ich ihr erkläre, daß ich auf Neuschwanstein wohne und Grenzpfähle zwischen Polen und Ukraine umstecken will, notiert er die Daten meines Passports in seinem ‚Notizbuch für notorische Lügner und Grenzgänger‘. Den Inhalt meines Rucksacks wollen sie dann doch nicht sehen, und bekommen so auch nicht meine CCCP-Fahne zu entdecken. ‚N Scherz. Ich darf weiter wandern!
Mein erstes Ziel entpuppt sich als Grabstätte mit vielen Kerzen, ’nem Kranz und Kreuz. Was die Ruine betrifft, sehe ich aus Steinen nur ein quadratisches Fundament eines kleinen Häuschens. Sinn und Zweck der Stätte erschließt sich mir nicht, da im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern keine zusätzliche Informationen in englisch ausgeben werden. Schade, da hat Polen echt noch Reserven bezüglich Tourismus.
Weiter gehts durch dichten Wald und beim Weg muß man schon genau hinschauen. Ich lese Spuren und spitz die Ohren. Ich hab Muffensausen! Warum? Es ist ein Naturreservat, und – die Fotos im Aufenthaltsraum beweisen es – es gibt hier Bären. Mich Durchschnittszivilisten mit zunehmend grauen Ohren und tauben Augen ist die Sache einfach nicht geheuer und bei jedem Knacken aus dem Dickicht guckt der Kupferbolzen. Nur nicht wegrennen, denke ich. Nach wenigen Kilometern lockert sich die Vegetation und die Anspannung in mir. Ich komme auf einen typisch für Grenzregionen idyllischen Plattenweg, der das Laufen aber nicht angenehmer macht.
Sehenswürdigkeit 2, das Bergwerk, erweist sich als scheinbar nicht vorhanden. Ich muß den Weg verlassen und ein Stück ins Unterholz kriechen, bis ich nach GPS genau auf dem Punkt mit dem Bergwerkszeichen stehe. Es könnte vielleicht auch einfach eine zugewachsene Grube sein, auf der ich stehe. Schnell nehme ich die Beine in die Hand und kehre wieder um.
Drittes und letztes Ziel erweist sich als Friedhof. Einige der wenigen Grabsteine weisen Sterbejahre um die 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts auf. Aber auch von 2008. Und hier steht sogar mal in Englisch auf dem Stein, woher die Person kommt. Nach dem Krieg nach Deutschland gekommen, in den 50ern nach Australien ausgewandert, und auf Wunsch in der alten Heimat beerdigt. Wäre der Friedhof nicht mit einem modernen Holzzaun umgeben, das ganze hätte schon einen leicht grusligen Eindruck machen können mit den Grabmalen so mitten in der Wildnis.
Während der ganzen Zeit habe ich freien Blick auf die Ukraine, und komme wirklich fast auf Steinwurfnähe ran. Es ist so grotesk, das normale Bürger da drüben in dem Land grad ihr Leben opfern sollen, weil ein paar Mächtige dieser Welt ein gewaltig an der Waffel haben. Es ist eine grüne Grenze mit Grenzfluss. Keine Befestigungsanlagen, kein Stacheldraht oder Mauer. Die Natur sieht aus wie diesseits der Grenze. Und nur Natur, keine Aussichtstürme oder anderen Gebäude.
Es wird nun langsam drückend schwül und am Horizont werden die Wolken immer dunkler. Ich beschleunige meinen Schritt und erreiche schweißgebadet mein Zelt. Nun schnell duschen, Kaffee machen, und ab in den Aufenthaltsraum Schutz suchen. Meine Fresse, das war alles auf die Minute. Ich sitze kaum, fängt es an zu schütten und zu donnern. Ich überlege, ob das Zelt schon mal so einem schweren Guss standhalten mußte. Ein erstes Mal gibts immer. Mach mal, denke ich, bin gespannt, obs was aushält. Fast im selben Moment fällt mir ein, daß die Technik im Zelt liegt. Die Spannung kippt in Ängstlichkeit. 20 Minuten später ist alles vorbei und die Inspizierung meines Zeltes ergab Entwarnung. Alles fein. Danach gibts zur Abwechslung heute Abend mal Nudeln. Wie am Tag 2, 3 und 4. Danach schnappe ich mir meinen Campingstuhl, mache es mir auf der wasserdampfenden Wiese gemütlich, und wage den 3. Versuch, eine meiner Zigarren zu verköstigen. Nun ja, Versuch 3 hab ich nach dem 5. Ausgehen frustriert aufgegeben. Und während ich kopfschüttelnd dieses hohle braune Ding anschaue, bemerkte ich im Rücken, wie jemand Holz hackt und ins Feuer legt. Ins Feuer! Ein richtig großes Feuer! Kruzifix und Satanei, das ertrag ich nicht. Zähne putzen, pullern, ab ins Bett.

Total distance: 13.19 km

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